YOGATHERAPIE UND HEILUNG
Seit unerdenklichen Zeiten ist in Ländern wie Indien und Tibet bekannt, dass Yogis und Meditationsmeister eine heilende Ausstrahlung haben. Die Menschen legen teilweise tausende von Kilometern zurück, um einen Moment in dieser heilenden Präsenz zu sitzen oder aber einen Blick oder eine Berührung zu erhalten. Dieser Moment wird in der Tradition Darshan genannt. Hierbei suchen Menschen nach Heilung bei physischen und psychischen Problemen oder erhoffen sich, dass Hindernisse im beruflichen oder im privaten Feld gelöst werden. Yogis, die Darshan geben konnten, wurden oft als Heilige verehrt, und die Bewohner ihrer Dörfer und Täler berichteten von den wundersamen Heilungen in ihrem Umfeld. Für uns ist besonders überraschend, dass diese Yogis oft kein Wort gesprochen haben. Sie haben nicht unbedingt eine Lebensberatung gegeben, sondern in ihrer Präsenz verändert sich auf wundersame Weise das Schicksal ihrer Besucher und Devotees.
Im Sat Nam Rasayan erkennen wir, dass alle Menschen die Kraft dieser stillen Präsenz auch in sich selbst finden und nutzen können. Dadurch wird zum einen der Prozess der Heilung entmystifiziert, und zum anderen wird das uns Menschen innewohnende heilende Potenzial erfahrbar.
BEHANDLUNG DURCH DIE KRAFT
DER INNEREN STILLE
Im Sat Nam Rasayan lernen wir, durch die Kraft der inneren Stille zu behandeln. Es wird keine Energie übertragen und auch nicht aktiv in die Prozesse des Klienten eingegriffen.
Bevor wir den Prozess einer Behandlung weiter beschreiben, ist es erst einmal wichtig, dass wir ein gemeinsames Verständnis vom Begriff „innere Stille“ haben. Häufig erleben wir in unseren Kursen, dass die Teilnehmer Stille für etwas schwer zu Erreichendes oder für ein nur intensiv Meditierenden vorbehaltenes Gut halten.
Dabei ist Stille ein natürlicher Zustand unseres Geistes. Stille bedeutet in diesem Fall nicht Abwesenheit von Gedanken.
Die Frage, die wir uns stellen, ist also nicht „Wie kann ich Stille erreichen?“, sondern vielmehr: „Was lenkt mich von meiner natürlichen Stille ab?“ Wir würden sagen, je mehr ich in meine Gedanken und inneren Prozesse involviert bin, umso weniger Stille kann ich erfahren. Wenn wir beginnen, Sat Nam Rasayan zu lernen, üben wir zunächst, uns zu dekonzentrieren und unsere Gedanken und Empfindungen zu beobachten und geschehen zu lassen, ohne uns einzuklinken. Der Kernbegriff ist hierbei das Erlauben, ein wirklich müheloses Zurückkehren in unser natürliches Sein.
ABER WIE GENAU FUNKTIONIERT
DIE HEILARBEIT MIT SAT NAM RASAYAN?
Um Sat Nam Rasayan zu lernen, benutzen wir zunächst den sensitiven Prozess. Wir lernen, uns selbst zu beobachten. Das ist einigen Achtsamkeitstraditionen, wie zum Beispiel der Vipassana-Meditation, recht ähnlich. Aber dann nehmen wir noch einen weiteren Schritt. Wir alle haben sicherlich schon die Erfahrung gemacht, dass wir unsere verschiedenen Beziehungen auf eine fühlende Art und Weise ausdrücken. Wir kommen an einen bestimmten Ort oder treffen einen Menschen, und es fühlt sich irgendwie an. Ist das Gefühl gut, mögen wir den Ort oder Menschen, ist es eher schlecht, dann reagieren wir negativ. Die Betonung liegt auf dem Reagieren. Ob positiv oder negativ, wir reagieren – und zwar normalerweise auf der Basis unserer Erinnerungen und Prägungen. Das heißt, unsere Reaktionen sind meist voreingenommen. Selten machen wir eine Erfahrung, die wirklich neu ist.
Um andere behandeln zu können, müssen wir zuerst einen unvoreingenommenen Bewusstseinsraum in uns entdecken. Das heißt, wenn wir den ersten Eindruck von unserem Klienten in uns erfahren, lassen wir die Empfindungen und Wahrnehmungen in uns geschehen – bestenfalls ohne zu analysieren oder zu diagnostizieren, da wir sonst wieder auf unsere Erinnerungen zurückgreifen würden. Wenn wir unsere Beziehungen in dieser Weise beobachten, passiert etwas ganz Besonderes. In diesem unvoreingenommenen Ruhen öffnet sich in uns ein heilender Raum. Der lebende Meister unserer Tradition, Guru Dev Singh, hat den Prozess mit zwei einfachen Sätzen beschrieben: „Wenn du einen Schmerz oder ein Ungleichgewicht hast, dann habe auch ich einen Schmerz. Wenn sich dieser Schmerz in mir löst, dann löst er sich auch in dir.“ Diese Worte beschreiben auf ganz einfache Weise den Heilprozess in der Arbeit mit Sat Nam Rasayan. Der Sat-Nam-Rasayan-Heiler nutzt dieses Phänomen in seiner Erfahrung.
Zunächst beobachten wir uns selbst und dann die Art und Weise, wie wir die Beziehung zum Klienten in uns ausdrücken. Wenn wir in unserer Erfahrung eine Spannung oder ein Ungleichgewicht erkennen und dabei still bleiben und diese Spannungsfelder erlauben, dann beginnen sie sich in uns und auch im Klienten zu lösen.
Zunächst ist das ein recht überraschendes Phänomen. Wir sitzen und beobachten ja nur uns selbst. Es wird keine Energie zum Klienten gesendet, wir visualisieren nicht. Es ist vielmehr so, dass das Ruhen in der eigenen stillen Präsenz ein sehr kraftvolles Potenzial in uns öffnet. Auf jeden Fall kann es passieren, dass wir nach diesem Prozess die Augen öffnen und unser Klient uns erzählt, dass seine Schmerzen verschwunden sind oder emotionale Blockaden sich lösen konnten.
Verstehen können wir erst einmal nicht, wie das genau passiert. Und das ist auch durchaus so gewollt. Denn anstatt neues Wissen anzuhäufen, wollen wir in uns einen stillen, unvoreingenommenen Raum der Erfahrung wiedererkennen. Wir wollen in unser intuitives Sein zurückkehren und die Fähigkeit entwickeln, unvoreingenommen auf die Situation zu reagieren, anstatt auf der Grundlage unserer Prägungen und Konzepte. Das führt uns zum zweiten Zitat: „Je stiller ich bin, desto mehr existierst du in meiner Erfahrung.“
Diese Unvoreingenommenheit und Freiheit eröffnet in all unseren Beziehungen einen tiefen, heilenden Raum. Wir beginnen, jeden Moment frisch und neu zu erleben, und unser Gegenüber fühlt sich wirklich gesehen und angenommen. Aber noch einmal zurück zur Heilarbeit mit Sat Nam Rasayan. Mit regelmäßiger Übung können wir lernen, sehr präzise zu behandeln. Wir können gezielt Muskeln entspannen oder emotionale Blockaden lösen. Diese Heilkunst ist ungemein vielfältig anzuwenden. Wir bieten Unterstützung bei Lebensproblemen, aber auch im beruflichen Feld. Wir behandeln chronische und akute Erkrankungen. Und das immer nur in stiller Meditation.
Wenn wir diese Kraft der Stille in uns entdecken, wird jeder Moment zu einer unendlichen Möglichkeit. Wir entdecken die Kapazität, uns selbst und andere zu heilen und unser sowie auch ihr Leben zu transformieren. Besonders beeindruckend ist es, dass diese Stille und diese Gelassenheit sehr schnell einen Weg in unseren Alltag und in unsere verschiedenen beruflichen wie auch privaten Beziehungsfelder finden und dort ihre heilende Kraft entfalten.
FÜR WEN IST SAT NAM RASAYAN GEEIGNET?
BRAUCHT MAN VORKENNTNISSE?
Um Sat Nam Rasayan zu lernen, braucht man keinerlei Vorkenntnisse. Je weniger wir wissen, desto unvoreingenommener können wir uns der Erfahrung öffnen. Es ist auch für fortgeschrittene Schüler immer wieder eine tolle Übung, das Gelernte beiseite zu lassen und sich unvoreingenommen der Erfahrung zu öffnen. Grundsätzlich finden unsere Teilnehmer die Ausbildung aus sehr unterschiedlichen Beweggründen. Viele Teilnehmer sind Yogalehrer oder in therapeutischen Berufen tätig. Für mich persönlich stand zunächst der Wunsch, meditieren zu lernen, im Vordergrund, denn da ist Sat Nam Rasayan eine sehr präzise und effektive Kunst. Andere suchen eher nach Heilung und persönlicher Transformation. In unseren Ausbildungen ist für jeden Platz, und der Unterricht richtet sich immer spontan nach den jeweiligen Bedürfnissen unserer Teilnehmer. Diese Spontaneität macht jeden Tag und jede Behandlung mit Sat Nam Rasayan so besonders.
Text: Sven Butz
Bilder: Carmen Smida, Alejandra Yañez
Gong: Siri Gopal Kaur